Erlebnisse und Gedanken einer Tierfreundin:
Die letzten Tage begegnen mir viele Eichhörnchen. Es ist, als würden sie mich grüßen. Es ist als wollten Sie meinen letzten Zweifel beseitigen wollen, wegen
eines Einkaufes dieser Woche: einem Aquarellpinsel...
Schon viele Jahre bin ich achtsam, wenn ich mir etwas Neues kaufe: Damit kein Tier wegen mir gequält wird. Tiere sind Lebewesen, sie haben Gefühle. Sie
verdienen, meiner Meinung nach, den gleichen Respekt und Mitgefühl, wie Menschen. Den Begriff „Nutztiere“ verstehe ich nicht. Wie können wir Lebewesen alles absprechen? Sie als Produkt
und Ware bezeichnen? Haben wir das Recht dazu? Und wenn wir es trotzdem tun – weil wir vermeintlich keine Alternative haben – warum blicken wir nicht wenigstens mit großem Mitgefühl auf
die Auswirkungen, die unser Handeln auf die Tiere hat? Ich schaue seit Jahren nicht mehr weg. Es trifft mich teilweise so stark, dass mich das Leid der Tiere in tiefe Traurigkeit stürzt.
Die furchtbarsten Quälereien kann ich nicht verarbeiten. Die Schreie der armen Tiere. Ihre Blicke. Das brennt sich in meine Seele und ich kann es kaum aushalten. Ich bekomme immer mal
wieder Ratschläge, mir all das „nicht so zu Herzen zu nehmen“. Doch dann schaue ich die Menschen mit Unverständnis an und bin froh – auch wenn es schmerzhaft ist – dass das Leid anderer
Lebenswesen mein Herz noch berührt.
Corine Pelluchon schreibt in ihrem Buch MANIFEST FÜR DIE TIERE Folgendes: „Sich des Leidens der Tiere bewusst zu werden ist ein einschneidendes Ereignis im
Leben der Menschen, die diese Erfahrung machen. Wenn wir bereit sind, der Realität des Leidens der Tiere ins Auge zu sehen, stellen wir etwas fest, das wir unmöglich vollständig zu
erfassen vermögen, nämlich wie intensiv das Leiden der Tiere ist und wie groß die Zahl der vernichteten Lebewesen. Nun bemerken wir all das, was Menschen anderen empfindungsfähigen
Lebewesen tagtäglich in aller Welt antun. Ist diese Wahrheit erst einmal ins Bewusstsein getreten, ringen wir verzweifelt um Luft. Um uns herum entsteht eine Stille, die von Einsamkeit,
Scham und der Gewissheit geprägt ist, dass wir niemals mehr so werden leben können wie zuvor.“ (Seite 20)
Dieses um Luft und Fassung Ringen ist Teil meines Lebens geworden. Es bedeutet jedoch nicht, dass ich keine Lebensfreude mehr spüre. Im Gegenteil! Alle
Gefühle werden durch Hinsehen und Hinfühlen stärker. Ich spüre Freude, Trauer, Verbundenheit, Angst und vieles andere in einer großen Intensität. Denn alles gehört zusammen!
Und dafür bin ich dankbar. Ich kann, ja darf so intensiv fühlen. Deswegen stelle ich mir die Frage: Was kann ich tun, um den Tieren zu helfen? Als erstes
kann ich mein Verhalten ändern. Vor vielen Jahren habe ich in Kanada auf einer veganen Farm gelebt. Dort habe ich gelernt, dass ein Leben ohne Tierausbeutung wunderbar funktioniert. Dass
es kein „Mangelleben“ bedeutet. Für unser Essen musste kein Tier sterben oder eingesperrt sein. Es hat großartig geschmeckt und ich war so gesund und munter, wie noch nie zuvor. Ach, ich
lernte so viel. Meine Augen und mein Herz wurden immer größer mit der Zeit. Nach über einem Jahr kam ich mit neuem Wissen und Bewusstsein zurück nach Deutschland. Seltsamerweise fiel ich
aber wieder etwas zurück. Das gewohnte Leben daheim zog mich immer wieder zu gewohntem Essen (der Sauerbraten zu Weihnachten…). Erst in den letzten Jahren entstand eine Klarheit, dass
mein Lebensstil kein Leid verursachen soll. Vegan zu leben und Lebensmittel aus regionalem Bioanbau zu beziehen, ist für mich die natürliche Konsequenz geworden. Meine guten
Lederschuhe trage ich trotzdem noch auf. Auch meine vor vielen Jahren gekaufte Daunenjacke wärmt mich noch wunderbar. Sind es Hintertüren oder Bequemlichkeit? Noch bin ich auf der Suche
nach der großen Antwort. Vielleicht hilft es mir aber auch, mit mir UND anderen nicht zu streng und moralisch zu sein. Denn das passiert leicht – Mitgefühl mit Tieren wandelt sich in
Feindlichkeit gegen Menschen. Moral betritt die Bühne. So sind meine wenigen nicht veganen Ausnahmen ein „Milde sein“ mit mir und anderen. Eine Art Verstehen was es heißt „einen Weg zu
gehen“.
Ein weiterer Schritt Leid zu mindern ist für mich ein Inspirieren zum Umdenken. Ein Sprechen über die Dinge. Womit wir wieder beim Eichhörnchen und dem
Aquarellpinsel wären. Der freundliche ältere Mann im Bastelgeschäft wusste am Anfang nicht so genau, was er mit meinen Fragen zu der Herstellung der Pinsel anfangen sollte. Ehrlich gesagt
– ich auch nicht. Es entwickelte sich Schritt für Schritt. Ich betrat den Laden, um mir einfach nur einen Aquarellpinsel zu kaufen. Ohne mir vorher Gedanken zu machen. Als der nette Herr
mir den Pinsel auf den Tresen legte, sah ich die Tierhaare. Damit war mir auf einmal klar, dass ein Tier hier sein Fell/Schwanz für diesen Pinsel gelassen hatte. Ich fragte den Verkäufer,
um wessen Haare es sich handelte. Er wusste es selbst nicht genau. So fingen wir an zu forschen. Beim Hersteller fanden wir den Hinweis, dass es sich um Eichhörnchenhaare aus Russland
handelte. Sofort sah ich vor meinem Auge Eichhörnchen in engen Käfigen, die wie Nerze und andere Wildtiere in einem Umfeld gehalten werden, das ihnen nicht entspricht, das sie quält und
unglücklich macht. Ja – ich schreibe bewusst UNGLÜCKLICH. Denn ich glaube jedes Lebewesen benötigt ein Umfeld, das ihm die Möglichkeit gibt, sein Wesen auszudrücken. Das Eichhörnchen im
Käfig, der Tiger im Zirkus und der Vogel in der Volière müssen wegen uns ein Leben führen, das nicht artgerecht ist. Häufig sieht man den Tieren ihre Traurigkeit an. Man muss ihnen nur in
die Augen schauen. Wie schreibt Rilke in seinem Gedicht der Panther: „Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe so müde geworden, dass ihn nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend
Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt…“.
Diese Bilder schwemmten mein Bewusstsein, als ich vor den Pinseln stand. Wahrscheinlich sah ich selbst aus wie ein trauriges Eichhörnchen. Ich spürte, wie
dieser Mann plötzlich, wie ich, Mitgefühl mit den Tieren bekam. Unser Gespräch führte dazu, dass er nachforschen wollte, wie die Tiere lebten und ob es Alternativen gibt. Ich kaufte den
Eichhörnchenhaarpinsel nicht. Ich entschied mich für einen anderen aus Kunstfasern. Auch das war keine leichte Entscheidung, denn dabei handelt es sich um Plastik. Ein Material, das ich
als schwierig für die Welt sehe. Doch die Vorstellung, dass Tiere wegen einem Bild, das ich malen möchte, gequält werden, ließ mir keine Wahl. So ist dieses Forschen, das Thematisieren,
Sprechen und Bewusstmachen immer wieder ein Wachmachen für mich - und Menschen, denen ich begegne. Es gibt so viele andere Möglichkeiten. Das Leid der Tiere ist unfassbar groß hier auf
unserer Welt. Wir sollten uns gegenseitig ermutigen und begeistern, dies zu ändern.
Jedes Tier – ob groß oder klein – wird dankbar sein über unser Mitgefühl. Unser Umdenken.Das werden wir spüren – nicht nur die Eichhörnchen werden immer
öfter freudig grüßen…
Ein paar Lesetipps von mir
Corine Pellucon: Manifest für die Tiere (C.H. Beck München)
Anonymous for the Voiceless https://www.anonymousforthevoiceless.org/
Rainer Maria Rilke: Der Panther (Neue Gedichte, Leipzig 1907)